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Artikel der Mitteldeutschen Zeitung vom 22.10.2005

«Riesiges Stück an Lebensqualität»

Hospiz begleitet seit 20 Jahren unheilbar Kranke - Individuelle Betreuung auf Station

von Heidi Pohle
Hospiz
Joachim Thel lebt seit rund vier Monaten im Hospiz. Ab und zu sitzt er auch mal im Rollstuhl, unternimmt mit seiner Frau kleine Ausflüge. Gespräche mit den Mitarbeitern wie mit Thomas Kolodziej und Schwester Manuela Wolfram führt er gern, obwohl ihm das Sprechen schwer fällt. (MZ-Foto: Wolfgang Scholtyseck)

Halle/MZ. Joachim Thel weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Er leidet an einer Erkrankung, die die Muskeln lähmt, auch die der Atmung. Ganz bewusst hat er sich dafür entschieden, die ihm noch verbleibende Zeit im Hospiz zu verbringen - weil seiner Frau die Pflege zu Hause nicht mehr möglich war. Und weil er leben will, gut leben will bis zum Schluss statt im Bett nur auf den Tod zu warten.Das Hospiz in Halle, eine Einrichtung, die unheilbar Kranke wie Joachim Thel stationär betreut, gibt es seit 20 Jahren. 1985 war es das erste Hospiz in der DDR. "Damals gab es auch in Westdeutschland nur ganz wenige Hospizdienste", erzählt Thomas Kolodziej, der seit 1993 im Hospiz arbeitet und 2003 Geschäftsführer wurde.

Gegen viele Widerstände durchgesetzt habe die Idee der im vergangenen Jahr verstorbene Pfarrer Heinrich Pera in Zusammenarbeit mit Rudolf Stienemeier. "Der Staat beobachtete damals sehr argwöhnisch, was da entstand", so Kolodziej. Und die Kirche habe noch bis zur Wende verkündet, dass sie solche Sterbehäuser eigentlich nicht brauche.

Erst nach 1990 setzte sich die Hospiz-Idee bundesweit durch. So konnte für immer mehr Menschen das letzte Stück des Lebensweges so angenehm wie möglich gestaltet werden. "Einzig die Bedürfnisse der Patienten zählen", erklärt der Hospiz-Chef. Wünsche werden, wenn es irgendwie geht, erfüllt. Da wird das Lieblingsgericht ebenso gekocht wie das Frühstück dann serviert, wenn es gewünscht wird. "Ein Patient wollte noch einmal zu den Händel-Festspielen, andere haben wir ein letztes Mal zu vertrauten Plätzen und Straßen begleitet."

Auch Joachim Thel, der seit vier Monaten im Hospiz ist, genießt diese Art der Betreuung. 24 Stunden am Tag ist immer jemand für ihn da; das gibt dem 72-Jährigen, der meist im Bett liegt und beatmet wird, ein großes Maß an Sicherheit.

Da er Arme und Hände nicht mehr bewegen kann, haben ihm die Mitarbeiter eine Möglichkeit geschaffen, mit den Zehen Fernseher und Radiosender auszuwählen und im Internet zu surfen. "Das ist für mich ein riesiges Stück Lebensqualität", erzählt der frühere Ingenieur-Ökonom, der die aktuelle Politik ebenso interessiert verfolgt wie wissenschaftliche Beiträge über seine Krankheit. Thomas Kolodziej, der viele Sterbende begleitet hat, findet es beeindruckend, wie Herr Thel mit seinem Schicksal umgeht: "Er ist aufgeschlossen und meist guter Stimmung."

Freundlich-humorvoll, so beschreibt Schwester Manuela Wolfram die Atmosphäre auf der Station, deren acht Plätze immer ausgebucht sind. Wenn die Patienten zufrieden sind, gebe das Kraft für die oft auch seelisch belastende Arbeit. Und oft seien es Kleinigkeiten wie ein Glas Rotwein, über die sich die Patienten freuen. Unterstützt werden die Mitarbeiter von 66 ehrenamtlichen Helfern, die mit den Patienten reden, spazieren gehen, oder einfach nur da sind, um eine Hand zu halten.

Kirchlich gebunden ist das Hospiz nicht. Aber all das, was Mitarbeiter und Ehrenamtliche leisten, sei gelebte Nächstenliebe, sagt Thomas Kolodziej, der sich wünscht, dass der Hospiz-Gedanke stärker als bisher umgesetzt wird, in Altenheimen zum Beispiel.


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